In der Nacht vom 17. auf den 18. August ist Alain Delon im Alter von 88 Jahren verstorben, auf seinem Landgut in Douchet-Montcorbon, in der Region Loiret. Kein anderer Schauspieler hat das Kino in Europa, insbesondere in Frankreich und in Italien, ab den 1960er-Jahren so stark geprägt wie er. Im Laufe seiner Karriere haben seine Schönheit, der klare Blick seiner hellen Augen und sein anziehendes Charisma ganze Generationen von Filmfans in den Bann gezogen und sind nun in wichtigen Werken der Filmgeschichte festgehalten. Obwohl er gern betonte, dass das Kino durch einen «Zufall» in sein Leben getreten sei und er sich daher eher als «zufälligen», denn als «berufenen» Schauspieler mit vielen Lernjahren betrachte, gelang Alain Delon ab den 60er-Jahren der Durchbruch mit seinem speziellen Blick und seinem sich geschmeidig und katzenhaft bewegenden Körper, wie dieser alte «Gattopardo» von Visconti, der er nicht war, aber den er zu ersetzen im Begriff war.
Delon, der 1935 geboren und von der Scheidung seiner Eltern im Alter von nur vier Jahren geprägt wurde, war ein unruhiger Schüler, der von einem Haushalt in den nächsten gezogen wurde, wäre beinahe Metzger geworden. Doch er meldete sich mit 17 Jahren vorzeitig zum Wehrdienst, trat in die Marine ein und ging nach Indochina. Nach einigen stürmischen Jahren im Militär kehrte er nach Paris zurück und pflegte Kontakte zur Unterwelt, um seine Unabhängigkeit zu gewinnen. Schliesslich, oft auch dank seiner ersten weiblichen Eroberungen, fand er nach und nach den Weg zum Film – den er liebte. Nach einigen Kurzauftritten bei Yves Allégret und Marc Boisrond wurde er Anfang der 60er-Jahre mit zwei Hauptrollen sofort zu einem Stern am Firmament der siebten Kunst: mit der Rolle des Tom Ripley in Plein Soleil von René Clément (1960) und in Rocco e i suoi fratelli von Luchino Visconti (1961). Zwei Jahre später offerierte ihm Visconti die Rolle des Tancredi in Il Gattopardo an der Seite von Burt Lancaster und Claudia Cardinale. In der Zwischenzeit spielte er in L’eclisse von Michelangelo Antonioni mit Monica Vitti und in Mélodie en sous-sol von Henri Verneuil, wo er mit seinem Idol aus Touchez pas au grisbi, Jean Gabin, zusammentraf.
Nach einem Abenteuerfilm von Christian Jacques, La Tulipe noire, der zum Kassenschlager wurde, und einem Autorenfilm über den Algerienkrieg, L’insoumis von Alain Cavalier (1964), wurde Alain Delons Karriere immer internationaler und er wechselte vom Kriegsfilm zum parodistischen Western und von der Komödie zum Krimi. Doch eine neue Begegnung sollte seine Arbeit prägen: Für Jean-Pierre Melville wurde er 1967 in Le samouraï zu einem einsamen und wortkargen Auftragskiller, dem eiskalten Engel – eine Rolle, die er im Laufe seiner Filmkarriere oft einnehmen würde.
Das Jahrzehnt endete mit zwei seiner grössten Erfolge: dem Krimi von Henri Verneuil, Le Clan des Siciliens, mit Jean Gabin und Lino Ventura, und natürlich dem Film La Piscine von Jacques Deray, wo er Romy Schneider wiedertraf. Inzwischen war er äusserst berühmt und begann mit der Produktion eines Projekts, das sich an Bandits à Marseille von Eugène Saccomano anlehnte. Die Geschichte zweier Ganoven in den «Roaring Twenties», wurde von Jean Cau, Claude Sautet und Jean-Claude Carrière geschrieben, Regie führte Jacques Deray. Um an seiner Seite spielen zu können, heuerte Delon seinen «Konkurrenten» Jean-Paul Belmondo an, über den er zu sagen pflegte: «Zum Glück gibt es ihn. Weder der eine noch der andere hätte ohne den andern dieselbe Karriere machen können. Es gab eine gewisse Rivalität zwischen uns, die uns aber gleichzeitig stimulierte». Es war die erste – und nicht die letzte – Zusammenarbeit zwischen den beiden französischen Filmstars und wurde zum Riesenerfolg: Borsalino verbuchte 4,7 Millionen Eintritte …
Nach zwei weiteren bemerkenswerten Krimis mit Melville, Le cercle rouge (1970) mit Bourvil, Yves Montand und Gian-Maria Volontè, sowie Un flic (1972) mit Catherine Deneuve, wirkte Delon in zahlreichen Krimis und Abenteuerfilmen mit, in denen er einige der Archetypen von Polizisten, Banditen und Antihelden, die er zuvor verkörpert hatte, wieder aufnahm. Oft beteiligte er sich auch als Produzent an diesen Filmen. Er suchte nach Figuren aus der Filmwelt, die für ihn so wichtig waren wie Clément, Visconti und Melville. So setzte er sich mit Herzblut für die Produktion von Joseph Loseys Monsieur Klein ein (mit dem er schon für L’assassinat de Trotsky) gearbeitet hatte. Die Geschichte handelt von einem skrupellosen Kunsthändler (Alain Delon), der während der Besatzungszeit nach und nach in fast metaphysischer Weise zu seiner Identität findet.
1984 verkörperte er den Baron de Charlus in Volker Schlöndorffs Verfilmung von Un amour de Swann, und im folgenden Jahr machte er einen beachtenswerten Abstecher in das bissige Universum von Bertrand Bliers Notre histoire, wofür er einen César als bester Schauspieler erhielt. Ähnlich wie Greta Garbo, die sich vom Rampenlicht zurückgezogen hatte, machte sich auch Alain Delon nach und nach auf den Leinwänden rar, behielt aber seine Leidenschaft für den Film und eine gewisse Selbstironie. Seine Rolle als Cäsar, der in Astérix aux Jeux Olympiques von Thomas Forestier und Thomas Langmann (2008) in der dritten Person von sich spricht, ist zweifellos ein filmischer Höhepunkt und machte Delon einer neuen Generation von Zuschauern (wieder) bekannt.
Alain Delon, der seit 1985 in Genf lebte und 1999 die Schweizer Staatsbürgerschaft erhielt, war oft auch bei RTS und Spécial Cinéma von Christian Defaye zu Gast, wo er sich gerne mit erstaunlicher Offenheit äusserte. Er drehte jedoch nur einen einzigen «Schweizer» Film: den eines anderen, nicht weniger bedeutenden französisch-schweizerischen Cineasten, nämlich Jean-Luc Godard. In Nouvelle vague verkörperte Alain Delon einen Mann und dessen eigenen Bruder – oder seinen Doppelgänger –, der einer Frau (Domiziana Giordano) gegenübersteht, die ihn auf der Strasse angefahren und dann bei sich zu Hause in ihrer Luxusvilla am Genfersee aufgenommen hat. Der Filmtitel kann sowohl als Hommage an diesen Schauspieler gelesen werden, der bis dahin noch nie mit den Cineasten der französischen Nouvelle Vague gedreht hatte, als auch als Bezug zum Wasser, das eine wichtige Rolle für die Art der Wiedergeburt der Figuren spielt. Für den italienischen Kritiker Alberto Farassino, ist Nouvelle vague «ein Film, dessen Tiefe und Geheimnis auch nach vielen Sichtungen nicht ausgeschöpft werden können. Aber selbst eine einzige reicht aus, um seine Schönheit zu schätzen.» Und wenn man den Film heute wieder sieht, wirkt er wie eine Hommage an diesen grossen Schauspieler, der von seiner Geschichte geprägt wurde, und wie ein Epitaph für alles, wofür er steht. Und wie sein Freund, Pascal Jardin, schrieb, «wirft Alain Delon diesen eiskalten Blick auf die Welt, in dem man weit hinten die Tränen seiner Kindheit schimmern sieht.»
Frédéric Maire