Zum Tod von Yves Yersin

Diverses 19. November 2018

Mit grosser Trauer hat die Cinémathèque suisse erfahren, dass Yves Yersin am vergangenen Donnerstag an seinem Wohnort Baulmes gestorben ist. Der grosse Filmregisseur wurde 1942 geboren, studierte an der Schule für Fotografie in Vevey und begann seine Karriere mit einer Reihe von Dokumentarfilmen in Zusammenarbeit mit Jacqueline Veuve (Le panier à viande, 1965). Es folgten von 1968 bis 1972 mehrere bemerkenswerte ethnografische Filme ohne Worte über aussterbende traditionelle Handwerksberufe wie La tannerie de La Sarraz, Le cordonnier ambulant du Lötschental und La passementière.

Letzterer bildete die Grundlage zu seinem ersten Langfilm, Les derniers passementiers (1973), in dem sich zeigte, welch einfühlsamen Blick der Regisseur für die Menschen und ihre (Handwerks-)Tätigkeiten hatte. Doch noch vorher entstand Angèle, eine kurze, modern anmutende Doku-Fiktion im Rahmen des Episodenfilms Quatre d’ entre elles (1968), mit der er an die Semaine de la Critique von Cannes eingeladen wurde. In jener Zeit kontaktierten ihn die Mitglieder der «Groupe de 5» (Alain Tanner, Michel Soutter, Claude Goretta und Jean-Louis Roy), damit er Jean-Jacques Lagrange ersetze, der zum Fernsehen gewechselt hatte. Doch schliesslich trug nur ein Drehbuch dieser Gruppe seine Handschrift.

Er pflegte von sich zu sagen: «Ich bin der langsamste Filmemacher des waadtländischen Nordens … vielleicht sogar der Schweiz». Nach einigen Aufträgen für das Fernsehen brauchte er mehrere Jahre, bis er 1979 sein auf dem Nährboden früherer Erfahrungen gewachsenes Meisterwerk, einen der erfolgreichsten Schweizer Filme aller Zeiten fertigstellte: Les Petites Fugues. Er wurde in der Sektion Un certain regard von Cannes gezeigt, brachte Michel Robin einen Darstellerpreis in Locarno ein und machte Yves Yersin international bekannt. Der Regisseur unternahm Reisen, entwickelte mehrere Projekte und bannte den Auftritt von Zouc im Bobino in Paris auf Film. Anschliessend stürzte er sich in ein neues Abenteuer und baute die DAVI auf, die Abteilung Audiovision der Ecole d’Art de Lausanne, die sich zuerst in Lausanne und später in den neuen Räumlichkeiten in Bussigny befand. Er leitete die Abteilung (später das Departement Film der ECAL) von 1988 bis 1995 und bildete zahlreiche, inzwischen erfahrene Filmemacher aus, unter ihnen auch Jean-Stéphane Bron, Frédéric Mermoud, Fulvio Bernasconi, Karine Sudan und Fabrice Aragno.

Dann folgte nochmals ein Dokumentarfilm, der – ist es ein Zufall? – von Bildung handelt: Tableau noir (2013), der in Locarno eine lobende Erwähnung erhielt und den wir als Vorpremiere im Capitole in Lausanne vorstellen durften. 2014 erklärte er sich zu einem Interview mit dem Unterzeichnenden bereit, als 300. Beitrag zu den Plans Fixes – ein heute stark berührendes Dokument.
Wir bedauern es sehr, dass Yves Yersin diesen Sommer nicht dabei sein konnte, als die Cinémathèque suisse den kürzlich von ihr restaurierten Episodenfilms Quatre d’entre elles in Locarno und in Lausanne vorstellte, in Anwesenheit der anderen drei Regisseure, Claude Champion, Francis Reusser und Jacques Sandoz. Und gerade heute wollten wir ihm mitteilen, dass der Film im März im Rahmen des Festivals Toute la mémoire du monde in der Cinémathèque française gezeigt wird. Wir hatten keine Gelegenheit mehr. Er ist weggegangen, wie eine letzte kleine Flucht, doch weniger fröhlich als Pipe mit seinem Motorrad. Aber bestimmt in Richtung Himmel.
Frédéric Maire 

Yves Yersin im Capitole, November 2013. © Carine Roth / Cinémathèque suisse
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