Mit grosser Trauer muss die Cinémathèque suisse den Tod von Freddy Landry bekannt geben; er starb am Mittwoch, dem 6. November, in seinem 90. Lebensjahr. Der Film- und Fernsehkritiker, Produzent, Mathematik- (und Film-!) Lehrer am Gymnasium, Leiter von Filmklubs und Weinhändler aus Neuenburg war zweifellos eine der prägendsten Persönlichkeiten der Westschweizer Filmwelt. Unzählige Filmschaffende und Vertreter der Filmbranche unseres Landes – auch der Unterzeichnende – verdanken ihm enorm viel.
Der 1930 in Verrières geborene Frédéric Alfred Landry –Freddy genannt – studierte Mathematik an der Universität und unterrichtete dieses Fach an mehreren Sekundarschulen und bis zu seiner Pensionierung auch am kantonalen Gymnasium in Neuenburg. Doch seine wahre Leidenschaft war der Film. Mit Freunden gründete er 1950 den Universitäts-Filmklub, dann einen Filmklub für alle Neuenburger Schulen, und schliesslich führte er 1964 am Gymnasium das Wahlfach Film ein, das den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bot, selber Filme zu machen. Ausserdem initiierte er Filmvorführungswochen, in denen sein Freund Freddy Buache regelmässig Filme aus der Cinémathèque suisse zeigte. Er beteiligte sich auch an den Filmstudienwochen, vorwiegend in Leysin, – die er selber einige Jahre lang leitete –, an denen sich Studierende aus der ganzen Schweiz Filme ansahen und darüber diskutierten. Mit Delta Geiler moderierte er Cinema e Gioventù, das Gymnasiasten aus der Romandie und dem Tessin den Weg zum Filmfestival Locarno ebnete und zukünftigen Filmprofis einen Nährboden bot – unter anderem auch dem Kameramann Renato Berta.
Ebenfalls in Locarno plante er mit seiner Frau Micheline und mit vier jungen vielversprechenden Filmemachern ein etwas verrücktes Projekt: einen Omnibusfilm aus vier Kurzfilmen, die von vier Frauen in vier Lebensphasen handeln und für den sie in gemeinsamer Begeisterung die Teams und das Material zusammenlegten. Zu diesem Zweck gründeten sie 1966 mit den vier Regisseuren Claude Champion, Francis Reusser, Jacques Sandoz und Yves Yersin die Gesellschaft Milos Films, zu Ehren von Miloš Forman, dessen erste Filme (insbesondere der in Locarno prämierte As de Pique) sie beeinflusst hatten. Der Film, der eine neue Generation von Filmern begründete, erhielt den Namen Quatre d’entre elles und wurde 1968 an die Kritikerwoche nach Cannes eingeladen.
Im folgenden Jahr produzierte Milos Films den ersten Langspielfilm von Francis Reusser, Vive la mort, der für die allererste Quinzaine des réalisateurs nach Cannes reiste. Von da an und bis Anfang der 80er-Jahre produzierte die Firma Filme einer grossen Anzahl junger Autoren, oftmals Kurzfilme, aber auch mittellange und abendfüllende Werke, unter anderem von Michel Rodde, Marcel Schüpbach, Jean-François Amiguet, Frédéric Gonseth, Robert Bouvier, Costa Haralambis, Frédéric Godet, dem Unterzeichnenden…, und weiteren. Beispielsweise von Vincent Mercier und Yves Robert, dessen Kurzfilm Les petites magiciennes im Jahr 1986 in Cannes nichts Geringeres als die Goldene Palme erhielt! Nach dem Tod seiner ersten Frau schraubte Freddy Landry seine Produktionstätigkeit zurück. Später engagierte er sich wieder stärker, bei Big Sur, der Firma seines Enkels Valentin Rotelli, der mit Pierre-Adrian Irlé den Film All That Remains realisierte.
Der unermüdliche Filmförderer Freddy Landry war nicht nur Lehrer (für Mathematik und Film) und Produzent. Ab Ende der 50er-Jahre schrieb er auch Film- und Fernsehrezensionen für unzählige Zeitungen und Zeitschriften wie Le National, La lutte syndicale, La Gazette de Lausanne, Brückenbauer, Coopération, mehrere französische Zeitschriften und vor allem für die Tageszeitung L’Impartial, die ihm ab den 70er-Jahren wöchentlich eine Seite zur Verfügung stellte. Ausserdem wirkte er ab 1984 bei der Einführung eines Filmmagazins im Lokalradio RTN mit. In den 60er- und 70er-Jahren gehörte er mit Alain Tanner, Freddy Buache, Alexandre J. Seiler und Stephan Portmann zu jenen Aktivisten, die mit der Einführung des Filmgesetzes, der Gründung der Solothurner Filmtage, der Abschaffung der Zensur und vielem mehr für die Anerkennung des Films auf nationaler Ebene kämpften. Zudem vertrat er die Produzenten in der Eidgenössischen Filmkommission.
Unermüdlich bis zum Schluss, stets auf der Suche nach jungen Talenten, formte er mehrere Generationen von Filmliebhabern und Filmprofis mit. Er hatte Geschmack und ein gutes Gespür: Ich erinnere mich, dass er in Solothurn Scissere (1982) gesehen hatte, den ersten experimentellen Langfilm eines unbekannten jungen Deutschschweizer Regisseurs, Peter Mettler, der in Kanada lebte. Er kaufte sofort eine Kopie davon, um ihn in der Schweiz zu verbreiten und bekannt zu machen. Übrigens filmte Mettler Freddy Landry in einem seiner folgenden Filme, Eastern Avenue, bevor er zu einem gefragten Kameramann junger kanadischer Filmschaffender (wie Atom Egoyan und Patricia Rozema) und ein weltweit gefeierter Dokumentarfilmer wurde.
Freddy Landry besuchte die Cinémathèque suisse letztmals im Jahr 2017. Er präsentierte die restaurierte Version von Éléments de grève seines Sohns Fabien Landry und Frédéric Godet (1976) über den Streik bei Dubied, den Milos Films produziert hatte, sowie Un mois de grève au pays de la paix du travail seiner Tochter Véronique Rotelli, die 40 Jahre später diesen historischen Streik nochmals thematisierte.
Die Cinémathèque suisse hat kürzlich Quatre d’entre elles, Vive la mort, Claire au pays du silence von Marcel Schüpbach sowie mehrere Kurzfilme aus der Produktion von Milos Films restauriert und plante, zu Ehren von Freddy Landry und der wegbereitenden Produktionsgesellschaft eine DVD-Box herauszugeben. Wir bedauern sehr, dass er diese nicht mehr sehen konnte, doch sein Werk und die Erinnerung an ihn bleiben bestehen.
Wir drücken seiner Familie und seinen Freunden unser herzlichstes Beileid aus.
Frédéric Maire
Freddy Landry in der Cinémathèque suisse, November 2017
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