Der grosse Zürcher (und Wahlpariser) Regisseur Richard Dindo ist in der Nacht vom 11. auf den 12. Februar im Alter von 80 Jahren unerwartet verstorben. Die Schweiz verliert einen ihrer bedeutendsten Regisseure, einen wichtigen Zeugen der Vergangenheit, einen Hüter der Erinnerung, der die Gegenwart in Worte fasste.
Der Anfang stand unter einem schlechten Stern. Der 1944 in Zürich geborene Richard Dindo verliess mit 15 Jahren die Schule und begann zu reisen. Autodidaktisch brachte er sich das Filmen bei, indem er sich in der Cinémathèque française in Paris (schon damals) mit Filmen eindeckte. Sein erster Langfilm, Schweizer im spanischen Bürgerkrieg (1973) kündigte bereits sein politisches Engagement und die Ironie an, mit der er die Geschichte neu las. 1976 drehte er mit dem Schriftsteller und Journalisten Niklaus Meienberg Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S., der detailliert beschreibt, wie ein 23-jähriger St. Galler 1942 erschossen wurde, weil er vier Granaten und eine Panzergranate gestohlen und sie für rund 800 Schweizer Franken einem deutschen Agenten übergeben hatte – in einer Zeit, da die meisten Schweizer Industriellen vor den Augen der Regierung mit den Nazis Handel trieben.
Der Film stellte die offizielle Version der Schweizer Geschichte offen in Frage und löste bei seiner Veröffentlichung eine heftige Polemik aus, insbesondere in den Medien und im Bundesparlament. Trotz seines internationalen Erfolgs wurde dem Film die Qualitätsprämie des Bundes verweigert, und Niklaus Meienberg erhielt ein Schreibverbot für den Tages Anzeiger, für den er als Kolumnist tätig war.
Das Schicksal von Richard Dindo war vorgezeichnet. Er würde Sand im Getriebe sein und es immer wieder wagen, den Finger dorthin zu legen, wo es weh tat. Dabei bewahrte er eine desillusionierte Distanz zu seinem Thema, die sowohl emotional als auch ironisch war. Dani, Michi, Renato & Max, den er 1987 drehte, ist ein aussergewöhnlicher Bericht über die polizeilichen Ausschreitungen und die Enttäuschungen, die 1980 nach den von Züri brännt – dem Zürcher 68-er-Mai – geweckten Hoffnungen folgten.
Richard Dindo, der immer zutiefst politisch war, hinterfragte regelmässig die Vergangenheit im Lichte unserer Gegenwart. Denken Sie an Genêt in Chatila (1999): Indem er Genêt nach Palästina begleitete, weckte er die Geister des Massakers von Sabra und Chatila. Oder Charlotte, «Leben oder Theater?» (1992): Anhand des Werks der Malerin Charlotte Salomon rief er die Schreckbilder des Holocausts in Erinnerung. In Grüningers Fall (1997) erinnerte er an den St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, der Hunderten von österreichischen Juden auf der Flucht vor den Nazis das Leben rettete, der jedoch aus dem Dienst entlassen und zu einem lebenslangen Ausschluss aus der St. Galler Polizei verurteilt wurde.
Richard Dindo liebte es, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Mit seiner Mischung aus realen Spuren und literarischer Fiktion verlieh er dem letzten Projekt des Schauspielers und Filmemachers Max Haufler in Max Haufler, «Der Stumme» wieder Leben, Körper und Stimme, beschwor die Geister der Angehörigen von Arthur Rimbaud (Arthur Rimbaud, eine Biografie, 1991) herauf, erinnerte an den bedeutenden Schriftsteller in Max Frisch Journal I-III (1981), ohne ihn je zu filmen, begegnete dem Geist des Che (Ernesto «Che» Guevara, das bolivianische Tagebuch, 1994) und würdigte Aragon, Matisse und Kafka, indem er ihre Schriften und Werke aufgriff, um die Vergangenheit aufleben zu lassen – eine Erinnerung an die Toten und Abwesenden.
Es ist offensichtlich: Das wiederkehrende Thema in all seinen Filmen ist das Gedächtnis. Und das Gedächtnis der Menschheit ist voller Lücken, die er mit einer stilistischen Relevanz füllte, die immer noch und immer wieder verstörend, ja sogar störend ist … So sehr, dass er in den letzten Jahren Mühe hatte, die Schweiz davon zu überzeugen, seine Werke zu finanzieren, obwohl er zweifellos einer der grössten Meister des zeitgenössischen Kinos war.
Die Hommage, die ihm das Festival Visions du réel zusammen mit der Cinémathèque suisse 2014 widmete, war nicht nur verdient, sondern unerlässlich. Wir waren mehr als glücklich, ihn bei uns begrüssen zu dürfen. Man hörte ihm gebannt zu, wenn er über seine Filme sprach, und konnte viel von ihm lernen. Bei seinem letzten Besuch auf der Bühne des Capitole im Jahr 2019 präsentierte er den erstaunlichen fiktionalisierten Dokumentarfilm Die Reise des Bashô (2017-2018) über den japanischen Dichter Bashô (1644-1694), dem «geistigen Vater» der Haiku-Poesie. Eben: das Unsichtbare sichtbar machen, durch wenige Worte …
Angeblich hatte er, als er kurz vor seinem Tod ins Krankenhaus zurückkehrte, das Gefühl, er verliere ein wenig sein Gedächtnis. Wie ein letzter Wink des Schicksals an einen Menschen, der sein Leben damit verbracht hatte, Erinnerungen aufleben zu lassen. Wir werden ihn zutiefst vermissen.
Frédéric Maire
Direktor der Cinémathèque suisse
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